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Buchtipp der Woche: „ruh“ von Şehnaz Dost

ZUR AUTORIN
Şehnaz Dost hat Germanistik, Komparatistik und Medienkulturanalyse studiert. 2019 belegte sie den ersten Platz beim Förderpreis der Kölner Literaturtage, 2020 war sie Stipendiatin der Autor*innenwerkstatt Prosa im Literarischen Colloquium Berlin. Ihre Prosa ist in den Zeitschriften Literarische Diverse und Yallah Salon sowie im Podcast Let’s call it a Comeback erschienen. ruh ist ihr erster Roman.
Aus dem Buch
»Meine Urgroßmutter war eine Gelehrte. Sie konnte nicht lesen, aber sie war eine Gelehrte. Sie sagte immer, man darf nicht die Sterne zählen. Sie starb eine Woche bevor ich auf die Welt kam.«
»Er zündet sich noch eine Zigarette an und spürt, wie tief die Scham sitzt. Eine Übelkeit in seinem Magen wie damals, als Nurcihan dem Kippenbaum auf die Schliche kam. Wie damals, als er mit einem halb fertig gestochenen Tattoo nach Hause kam, Gül es mit einem neutralen ›sieht schön aus‹ zur Kenntnis nahm, ihm einen maximal flüchtigen Kuss auf die Wange gab und zum Schlafengehen in Ekins Zimmer verschwand, ihn im Flur zurückließ.
Wie damals, als im Dorf Selkans Hochzeit gefeiert wurde und er sich für seine abla hätte freuen sollen, es aber nicht tat, weil sie weggehen würde. Wie damals, als der Spittel ihn eines aggressiven Gemüts und weiterer rassistisch besetzter Attribute beschuldigte, obwohl die Wahrheit groß wie ein Berg mit ihnen im Raum saß. Groß wie ein Berg, aber eben auch genauso stumm. Sprachlos, wortlos fütterte die Scham sich selbst.«